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Spitzen  

Definition

  • bdk: profane Kunst | Duden: 8. in unterschiedlichen Techniken aus Fäden hergestelltes Material mit kunstvoll durchbrochenen Mustern | Meyers Großes Konversations-Lexikon 1909: Spitzen (hierzu Tafel »Spitzen I u. II«), niederdeutsch Kant, Kante; franz: dentelle (Zähnchen), point (Punkt, Stich); ital.: merletto (Zäckchen), punto (Punkt, Stich, Spitze); engl.: point (Spitze), lace (Litze), Produkte der Textilkunst aus allen Arten von Gespinsten, deren Vorläufer aus verbundenen Ketten- oder Schußfäden (s. Franse und Posamenten) bis ins Altertum zurückgehen, woran sich im Mittelalter solche aus Netzwerk (vgl. die Artikel »Filet, Gipüre, Netzarbeiten«) anschließen. Hieraus und im Zusammenhange mit dem Leinendurchbruch (s. d., vgl. auch Hohlsaum, Hardanger Arbeit, Madeirastickereien, Renaissancestickerei) entwickelten sich im 16. Jahrh. die S. von Italien aus als selbständige Erzeugnisse: vornehmlich in Leinenfäden genäht (Nähspitzen), geklöppelt (Klöppelspitzen); später auch in Leinen- und Baumwollengarn gewebt (Maschinenspitzen). Blonden sind qeklöppelte oder gewebte Seidenspitzen. In gleicher Technik werden S. aus Gold- und Silberfäden (s. Goldspitzen) hergestellt. Seidene, leinene, baumwollene und wollene S. entstehen auch durch Häkeln (s. d.), Knüpfen (s. Macramé) und Stricken (s. d.). S. in Handstickerei sind seltener; wohl aber haben Ätz- oder Luftspitzen durch Maschinenstickerei in neuerer Zeit weite Verbreitung gefunden. Applizierte S. entstehen durch Aufnähen genähter oder geklöppelter Muster auf einen vorhandenen genähten, geklöppelten oder gewebten Maschen- oder Tüllgrund. Die vielseitigen Bezeichnungen der S. (vgl. Point und Punto) gehen zum Teil von der Technik, anderseits von ihrem Ursprungsland aus, daher erklären sich bei ältern Arten die italienischen Namen, für die später französische, niederländische, englische oder deutsche allgemein wurden. – Die Technik der eigentlichen Nähspitze (franz. point à l'aiguille; engl. pointed needle-work) beruht in ihren Anfängen auf dem Leinendurchbruch, der stilistisch dem Hohlsaum entspricht, so daß der einfache Durchbruch den italienischen punto tirato, der doppelte den punto tagliato darstellt. Beide Arten werden auch französisch point coupé (Tafel I, Fig. 1) genannt, weil der Durchbruch ausgeschnitten sein kann. Solche Ausziehspitzen gingen zuerst mit der Leinenstickerei Hand in Hand (Tafel I, Fig. 7), bis sich innerhalb der quadratischen Ausschnitte auf Grund von gespannten Durchgangsfäden die Netzspitze oder der italienische punto di reticella entwickelte, der seit dem 17. Jahrh. auch als Klöppelspitze und in vollerer Gestaltung (s. Solspitzen) als filetartige Arbeit erscheint (Tafel I, Fig. 4), in welcher Ausführung sein Ursprung auf Spanien schließen läßt. Mit der Steigerung des Bedarfs an S. zur Zeit der Renaissance machte sich die Technik vom Leinen grund insofern unabhängig, als man das quadratische Vorwerk für die Reticellaspitze auf Pergament herrichtete, womit der Musterung der genähten Spitze die volle Freiheit für die weitere Entwickelung gegeben wurde: sie führte von der geometrischen Formengebung zur bandartigen Rankenbildung im Stile der Zeit und durch die dazwischen notwendigen Verbindungsstege (brides) waren die Vorläufer zur Netzgrundspitze vorhanden; gleichzeitig mit der künstlerisch entwickeltern Technik gewannen die S. auch an Bedeutung für die Tracht. Die Verbreitung von Spitzenmustern[766] geschah seit dem 16. Jahrh. durch die in Deutschland, Italien und Spanien zahlreich erschienenen Model- oder Spitzenbücher; der Hauptsitz der Industrie war indessen zunächst in Italien und Spanien: vor allem blieb Venedig bis zum letzten Drittel des 17. Jahrh. hierin die tonangebende Modestadt Europas. Der ursprünglich noch flach gehaltene italienische und spanische punto in aria (Tafel I, Fig. 3 u. 11) erfuhr in Venedig im punto a rilievo (franz. point de Venise) die edelste Gestaltung in vollendetster Technik (Tafel I, Fig. 12). Die Berühmtheit dieser mit allen Feinheiten der à jour-Arbeit ausgestatteten Reliefspitze veranlaßte Colbert 1664, venezianische Arbeiterinnen nach Frankreich kommen zu lassen, und es entstanden dort eine Reihe von staatlichen Werkstätten, in denen der neue point de France (Tafel I, Fig. 2) nach italienischen Vorlagen gearbeitet wurde: zunächst gab der point de rose, die feinste Art des point de Venise, die besten technischen Anhaltspunkte. Danach bildete sich besonders in Alençon und Argentan eine neue eigne vornehme Spitzenart heraus, die ganz im Stil Louis XIV. mit Anklängen an das italienische Barock erscheint (Tafel I, Fig. 2), und mit dieser Gattung von Ziernetzspitzen, deren mühsame Anfertigung durch zwölf aufeinanderfolgende Arbeitsweisen in einzelnen Teilen geschieht, hatten jene Nadelarbeiten technisch und künstlerisch, als duftig sich entfaltende ornamentale Flächen, ihren Höhepunkt erreicht, woran übrigens auch gleichzeitig die Klöppelarbeiten teilnehmen. Brüsseler Nähspitzen treten erst mit dem 18. Jahrh. in den Vordergrund (Tafel I, Fig. 6). Die Erzeugnisse von Argentan (Tafel I, Fig. 5) sind in der genähten Rokokospitze (Stil Louis XV.) dem point d'Alençon nahe verwandt; besonders charakteristisch für letztern erscheinen dann am Ende des 18. Jahrh., im Stile Louis XVI., die Nähspitzen mit Streublümchen über einem zackigen Fuß, den eine schmale Ranke begleitet (Tafel I, Fig. 10), in gleicher Art, wie sie früher in Burano erzeugt wurden (Tafel I, Fig. 9). Als dann um 1800 die Bobbinetmaschine zur Herstellung des gewebten Tüllgrundes erfunden war, wurden die getrennt gearbeiteten Formen aufgesetzt, oder man stellte Durchzugmuster her. Mit der Neubelebung des Kunstgewerbes, seit den 1860er Jahren, brachte die Nähspitze in den italienischen und österreichischen Erzeugnissen eine Wiederholung der alten Renaissancemuster, während die französischen und belgischen mehr den Charakter der Rokokotypen und des Naturalismus bewahrten. In der Ausbildung moderner Kunstformen im Bereiche der Nähspitzen hat Wien die ersten Erfolge errungen, denen solche in Schlesien (Schmiedeberg und Hirschberg) folgten (Tafel I, Fig. 8). – Die Technik der Klöppelspitzen (franz. points an fuseau; ital. dentelli a piombini; engl. pillow laces) hat infolge ihrer vielseitigen Gestaltung und leichtern persönlichen Handhabung eine schnellere und weitere Verbreitung gefunden als diejenige der Nähspitzen, was die Feststellung des Ursprungs dieser Erzeugnisse schwieriger erscheinen läßt. Zum Klöppeln bedarf man eines Polsters (Klöppelsacks), das im Erzgebirge walzenförmig und drehbar, in Belgien und Frankreich viereckig und flach gewölbt ist; auf dem Sack liegt der Klöppelbrief, ein Streifen Papier, worauf das Muster in Nadelstichen vorgezeichnet ist. [...] | Quelle: Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 766-768. | Permalink: http://www.zeno.org/nid/20007506007

URI

https://vocabs.acdh.oeaw.ac.at/traveldigital/Concept_2163

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